Sunday, May 29, 2005

RADIO: Der Kaukasus. Von Ralph Hälbig

Manuskript gesendet April/2004 auf dem SWR


Eine Sage berichtet davon, wie Gott die Menschen zu sich rief, um einen Großteil der Erde unter ihnen aufzuteilen. Auch die Georgier waren eingeladen. Doch auf dem Weg zu dem Allmächtigen wurden sie von Feinden angegriffen. Aufopferungsvoll und mutig erzwangen sie den Sieg. Zwar am Rande der Erschöpfung feierten sie dennoch ihren Triumph. So kamen sie berauscht und verspätet zu Gott. Gott war begeistert und beschenkte diese stolzen Seelen. Er überließ ihnen seinen göttlichen Garten.

Der Kaukasus trug maßgeblich zur Blüte Russlands bei. Hier gewannen russische Genies in der Sonne Kraft. Hier stand die Wiege einer besonderen, südlich-heiteren Kultur, voll leidenschaftlicher Poesie, Humor und Schönheit. Kurzum: Der Kaukasus und das Schwarze Meer wurden für Russland das, was Italien für Europa war.

Doch die Völker des Kaukasus hatten Pech. Sie fielen der russischen Lava zum Opfer, die sich aus dem dunklen Wald als glühende Zunge zum Meer fraß. Dass Puschkin, Lermontow und Tolstoi am Krieg beteiligte Offiziere waren, fügte ihrer Anbetung des Südens einen Beigeschmack von Stahl, den Geruch von Pulver und die Farbe des Blutes hinzu. Die Romantik des wilden Landes, die Schönheit der Berge und Wälder, die Breite der Strände, das Brausen des Meeres und andere Reize dieser Eroberungen machten erst die Existenz, dann die Ausrottung und Vertreibung der kleinen Völker zur Nebensache.

Tuschetien, Chewsuretien, Swanetien sind zerklüftetete Landstriche in den kaukasischen Bergen. Die höchsten von Schnee bedeckten Berge hegen diese Abgeschiedenheit mit ihren karstigen Bergrücken, Weiden, tiefen Schluchten, reißenden Bächen, unwegsamen Pfaden, fruchtbaren Gärten in Dörfern, die sich terrassenartig wie Schwalbennester an die Berghänge schmiegen. Majestätischen Gipfel und erhabene Bergketten sind die natürlichen Grenzen zu Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien.

Die Legenden und Sagen der Bergvölker sind das Ergebnis ihrer grenzenlosen Phantasie. Auch hier sind diese kleinen Sprachfamilien mit Feuer und Schwert christianisiert wurden. Doch ihr Edelmut überlebte. Immer noch sind ihre Rituale eng verbunden mit ihren heidnischen Stätten, die hier nur für die Männer zugänglich sind. Nirgends zeigen sich die Menschen so ungeschminkt. Kaukasier gelten immer schon als herausragend tapfer und tollkühn. Im Sommer leben die Familien ausnahmslos hier oben, bestellen ihre Gärten, schlachten Lämmer, führen die Herden auf die Weiden, machen Käse, züchten Pferde, fangen Forellen, rezitieren Verse, beschäftigen sich mit Handarbeiten und gehen auf die Jagd.


Will man in die Berge, so ist es ratsam einen versierten Fahrer zu suchen. Denn die Strecken hinauf und hinunter sind äußerst riskant. Hat man dann beispielsweise den Albano-Pass überquert und die halsbrecherische Tour ist überstanden, wird mit dem berüchtigten 60%igen Tschatscha auf das gelungene Unterfangen angestoßen. Von hier aus blickt man dann auf die heiligen Berge des Kaukasus, hinter sich hat man die weite Ebene der kachetischen Weinbauern; weitab sieht man die Bergsteppe Schiraki, wo die Herden überwintern. Getrunken wird dann auf das Wohl der Familie, der Kinder, der Toten und auf die, die keine Angehörigen mehr haben!

Die Ehre, die Liebe, der Respekt, die Freundschaft, die Verbindlichkeit des Wortes und die Gastfreundschaft an reich gedeckten Tischen bedeuten ihnen viel. In ihrem harten Leben haben sich elementare Beziehungen und Verbindlichkeiten zwischen den Menschen erhalten. So gibt es noch Autoritäten, die manches bewahren und die hier ungeachtet der Liberalisierung Georgiens ihr patriarchalisches Recht sprechen.

Auch in dieser Gegend Georgiens greift man sich gegenseitig unter die Arme. Der Gast ist von Gott gesandt. Der Gast wird nicht nur von dem selbstbewussten Tamada, dem Tischvorsitzenden geehrt: „Denn was man zu geben bereit ist, wird man auch von Gott bekommen.“ Im Winter fallen dann die Temperaturen auf Tiefststände. Bis zu vier Meter hoher Schnee begräbt dann diese Landschaft. Und auch dann gibt es keinen Strom und das Brennholz ist knapp.

No comments: