Sunday, May 29, 2005

ARTIKEL: Perfekte Choreographie eines kaukasischen Volkes. Von Ralph Hälbig

Veröffentlicht im Eurasischen Magazin (März 2005)


Das Georgian State Dance Company-Sukhishvili", wie das Staatsballett offiziell heißt, wurde weltweit immer wieder gefeiert. Mailand, New York, Tokio, Rio waren einige Stationen ihrer vielen internationalen Tourneen. Überall zollten die Gäste frenetischen Beifall. Die Sukhisvili-Company wurde 1945 von Iliko Sukhishvili und Nino Ramishvili ins Leben gerufen. Ihr riesiger Erfolg machte Schule. In Georgien wurden viele ähnliche Tanzgruppen gegründet, die sich die Sukhisvilis zum Vorbild nahmen. Heute gehören zum georgischen Nationalballett 60 Tänzer und ein kleines Orchester mit klassischen kaukasischen Instrumenten: Duduki, Salamuri, Tshonguri, Doli, Akkordeon, Gitarre, Perkussion, Trommeln.

Die Lebenslust der Georgier, die dieses Ensemble ausstrahlt, hat ihre eigenen Mythen. Dazu zählen nicht nur ihre Gastfreundschaft, ihr ungebändigtes Freiheitsgefühl, ihr Stolz und ihre Anmut. Fried Nielsen, ehemals stellvertretender Botschafter Deutschlands in Georgien, sagte: „Die Georgier lieben das Theater, ihr Leben ist vor allem Theater.“ So sollen zum Beispiel die Georgier geschlafen haben, als Gott seine Welt an die Völker verteilte. Als sie hörten, daß sie leer ausgehen würden, unterhielten sie den Allmächtigen mit Tanz und Musik, und das so ausdauernd, daß er weich wurde. Gott gab ihnen schließlich das kleine Paradies Georgien, welches er für sich selbst zurückbehalten wollte.

Den Tanz im Blut

Der Auftritt des Nationalballetts thematisiert die reiche Geschichte Georgiens. Die Zuschauer erleben die majestätische Welt einer folkloristischen Choreographie voller Emotionen. Akrobatische Tänze liegen den Georgiern im Blut. Ihr Tanz kann so heftig werden, daß die Klingen in ihren Schwerttänzen Funken schlagen. Tanz und Musik sind hier untrennbare Zwillinge. Herausragend ist, daß die professionellen Tänzer auch äußerst begabte Schauspieler sind.

Der Tanz ist eine der besten Referenzen für das kaukasische Land. Tanzen war für die Georgier schon immer eine Überlebensform. Ohne den Tanz würden sie ihr Wesen verlieren. Das selbstbewußte Temperament der Georgier hat seine Ursache in dem typischen Vielvölkergemisch zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer und natürlich in den zahlreichen historischen Bedrohungen von außen, denen das Volk in seiner Geschichte ausgesetzt war. Immer schon mußten sich die Georgier durchsetzen. Vor diesem Hintergrund formierte sich ein Bündel persönlicher Tugenden unter ihnen heraus. In allen Tänzen geht es um Talent, Mut und Weltklugheit, Höflichkeit, Rede und Moral. Die Tänze lassen etwas von dem Aroma des Landes und ihrer Gravität erahnen. Nicht zuletzt verführen 300 ausgezeichnete Kostüme zu einer Reise in das Kolchis, das mythische Land der Argonauten und des goldenen Vlieses, dorthin, wo Medeas Heimat ist und die Seidenstraße die Nahtstelle zwischen Orient und Okzident überquert. Die Sukhisvili-Company präsentiert auf der Bühne die seelische Spiegelung eines außergewöhnlichen Volkes.
Das Spektakel beginnt mit einem sogenannten Partsa, einem traditionellen Festtanz. Darin bilden die Männer eine lebende Pyramide. Die Tänzer stehen einander auf den Schultern und bewegen sich im Kreis. In den Dörfern hoch oben in den Bergen zieht solch eine Pyramide mit einem Musiker in ihrer Mitte zum traditionellen Heiligtum. Hält die Pyramide, heißt das, daß die Geister die Opfer des Dorfes angenommen haben – ein Glück verheißendes Vorzeichen.

Traditionelles Reglement

Auch andere Tänze folgen festen Regeln. Dem Zuschauer fällt sofort die ehrfurchtsvolle Beziehung zur Frau auf – die Ritterlichkeit und der Respekt der georgischen Männer gegenüber den Frauen. Der Mann hält Abstand und ist zurückhaltend in seinen Bewegungen. Allein die Augen und die Eleganz verraten Erregung und Leidenschaft. Verwegener sind ihre Bewegungen bei heroischen Verteidigungs-, traditionellen Hirten- oder magischen Jagdtänzen. Der „Adjaruli“ von der sonnigen Schwarzmeerküste ist hingegen ein bezaubernder Tanz, bei denen der Mann in einem Liebesduett auf das frivole und kokette Spiel der Frau eingeht. Trotz allem sind Berührungen während des Tanzes untersagt. Ein Mann muß seine Gefühle im Griff haben. Die Bewegungen jedes Tänzers folgen den Anforderungen eines allgemeinen Planes, gleichzeitig verlieren sie jedoch nicht ihre Individualität. Denn die Tänzer konkurrieren auch in der Stärke, in der Beweglichkeit, im Aufzug und in ihren ausdrucksvollen Bewegungen. Das heizt die Stimmung an.



(copyright Ralph Hälbig)



Die Rolle der weiblichen Tänzerinnen ist es, Anmut und Charme zu verkörpern. Ähnlich wie im klassischen Ballett, in dem jedes Gefühl seine eigene traditionelle Bewegung hat. Die Frauen sind zart und ruhig, sie gleiten auf kleinen Schritten dahin. Die männlichen Tänzer hingegen sind technisch virtuos und strotzen vor viriler Energie. Sie fordern sich gegenseitig zu gewaltigen Sprüngen und unglaublichen Pirouetten heraus, die der Schwerkraft trotzen. Geschwindigkeit und Präzision rauben einem den Atem. Und kaum vorstellbar ist, wie sie in ihren weichen Lederstiefeln auf ihren Zehen tanzen oder nach einer doppelten Umdrehung auf ihren Knien landen und gleich wieder hochspringen. Der Auftritt ist mitreißend und präzise bis in die Mimik.


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