Saturday, November 26, 2005

Der Toast des Tamada - eine Tradition in Kachetien (Georgien)

Ruhig schärft Wachtang sein Messer am Lederband. Mit seinen Händen gestiluliert er in Richtung seiner Weinstöcke. "Geht", sagte er und reichte mir das Messer. "Nehmt Euch Trauben". Ein anderer Mann, der mich neugierig angeschaut hatte, der beim Mittagessen die ganze Zeit den Weinberg überblickte, trottete jetzt mit mehreren Bündeln grüner Rkatsiteli-Trauben in seinen Armen zum Auto. Diese süßen, klebrigen Trauben haben mich tiefer ins Herz Georgiens getrieben.

Trauben gibt es reichlich in Georgien, aber nirgendwo mehr als in Kachetien, im Osten Georgiens, nicht weit entfernt von Aserbaidschan. Eingekeilt zwischen den schneebedeckten Bergen des Kaukasus im Norden und einem wüstenartigen Ödland im Süden an der Granze zu Aserbaidschan, gibt es mehr Weintrauben - und natürlich auch Wein - als anderswo in Georgien.
Die Bedeutung des Weins für die Kultur Georgiens ist kaum bekannt. Viele Experten wagen es kaum zu sagen, dass dieser Teil der Welt der Geburtsort des Weins war. Archäologen haben Beweise dafür gefunden, dass die Menschen hier den Wein schon 7000 Jahre vor Christis Geburt kelterten.
In Georgien ist der Weinanbau mittlerweile eng mit der Religion verschlungen. Noch immer gibt es im Kaukasus die Legende, dass die Heilige Nino das Christentum in Georgien im vierten Jahrhundert eingeführt hat. Seitdem trägt das Kreuz noch die Weinstöcke. Noch immer sieht man die Motive der Trauben auf den Bildnissen und Ikonen der malerischen und ältesten Kirchen nicht nur Georgiens, sondern des Christentums überhaupt.
Kachetien ist wahrscheinlich immer noch das Epizentrum der wachsenden Weintradition des Landes. "Die Erntezeit ist ein großer Feiertag für uns", sagtre Georgy Kalatozishvili, der oberste Winzer der Tsinandali-Weinkellerei des Gebietes, der mich durch historischen Gemäuer des 19. Jahrhunderts geführt hat. "Für andere Leute es ist das Neue Jahr," sagte er. "In Kachetien ist es die Weinernte". Berühmt für seinen trockenen Weißwein wurde der Tsinandali-Wein der Familie Chavchavadze. Hier wurde ein aristokratischer Brut gekeltert, der eindrucksvoll von Dichtern, Schriftstellern und Diplomaten besungen wurde. Davon erzählte mir Kalatozishvili unaufhörlich, währenddessen er mich in die feuchten, höhlenartigen Weinkeller mitnahm. Dort lagern noch wertvolle Flaschen - die ältesten von Chavchavadze sind mit "1814" datiert.
Namen der Reben, wie Tsinandali, bedeuten dem durchschnittlichen westlichen Weintrinker nicht viel. Aber in der ehemaligen Sowjetunion waren dies die besten georgischen Weine. Sie waren ein Vermächtnis für die Tage, als sie das Getränk für Familienfeiern waren - oder Versammlungen der Partei-Elite. Stalin, ein Georgier bevorzugte den halb süßen roten Khvanchkara und den Kindzmarauli. In Georgien gibt es neben den weißen, den roten auch noch den schwarzen Wein. Georgische Weine hatten jedoch weiterhin wenige Anhänger in Westeuropa oder in Nordamerika. (Ein französischer Weinkaufmann in Moskau erzählte einmal, dass sie diesen Stoff nicht trinken könnten.)
Das Problem ist eine Frage des Geschmacks. Die meisten Weintrinker in der ehemaligen Sowjetunion bevorzugen süße oder halb-süße Weine, jedoch keine trockenen Weine, wie sie im Westen weitverbreitet sind. Ein anderes Problem ist der weite Weg, den georgische Weine bisher machen mussten. Die meisten Weine kommen aus industrialisierten "Weinfabriken" aus der sowjetischen Landwirtschaft, die bei der Weinkelterei die Quantität der Qualität vorzogen, obwohl die besten Weine aus Georgien einen reichen und komplexen Geschmack haben, die sogar die feinsten Gaumen begeistern könnten.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion verwüstete auch die Wein-Industrie Georgiens. Krieg, Korruption und Armut haben das Land überzogen, nachdem es die Unabhängigkeit gewonnen hatte. Die angespannten Verhältnisse mit Russland bedeuteten zudem, dass die Winzer Schwierigkeiten hatten, ihre Weine dort zu verkaufen, das bisher ihr Exportmarkt schlechthin war. Zudem demütigte es die Winzer, dass zunehmend gefälschte und gepanschte Sorten den Markt mit billigen künstlichen Weinen überschwemmten. Dabei wurde die Popularität der besten georgischen Sorten ausgenutzt, indem falsche Etiketten auf drittklassiken Wein aufgebracht wurden. Demzufolge verlor auch der georgische Wein seinen Ruf. Einige Weinkellereien wurden zudem durch skrupellose Geschäftsmänner gekauft und geplündert.
"Alles wurde geraubt und zerstört", berichtete Tamazi Kontrashvili, der zurückgerufene Direktor der Kindzmarauli Weinkellerei, als wir auf seiner gemütlichen Lederncouch im Fabrikgeschäft neben seiner Flaschenabfüllanlage gesessen hatten. Kontrashvili kommt aus einer Winzerfamilie - sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater - alle waren Winzer. Das überrascht hier in Kachetien niemanden, denn die meisten Familien in Kachetien machen ihren Wein selbst, und das in einer unendlichen Vielfalt.
Diesen selbstgemachter Wein findet man in unterschiedlichsten Variationen überall in Georgien. Auch in Tbilisi, der Hauptstadt des Landes, wird er überall von Verkäufern angeboten - beinahe an jeder Straßenecke. Manchmal verkaufen sie eine blassgelbe oder rosarote Flüssigkeit in Zwei-Liter-Pepsi-Flaschen. Es ist dieser junge, rohschmeckende Tischwein, der immerzu bei der sagenhaften georgischen Zeremonie, der supra, anzutreffen ist. Zur supra - das Wort bedeutet wörtlich "Tischdecke" - wird gewöhnlich gerufen, um ein wichtiges Ereignis zu markieren. Eine zentrale Rolle bei der supra wird vom tamada, dem Tischführer eingenommen. Der tamada sagt alle Toasts, obwohl er diese Rolle auch an jemanden anderen delegieren kann oder ein Gast wird gebeten, einen Toasts auszusprechen. Um ein guter tamada zu sein, hilft es, wenn man witzig und wortreich ist, obwohl die Toasts bei einer supra einem ziemlich normalen Repertoire folgen. Typische Themen sind Georgien, die Vorfahren, die Frauen und der Weltfrieden. Kurz gesagt, die supra gilt einer verschwenderischen Gastfreundschaft, bei der die Gäste geehrt werden, denn sie sind ein Geschenk Gottes, wie ein Sprichwort besagt. Immer wird auf die Gäste getrunken und niemals einfach so. Zumindest ist das die Theorie.
Trunkenheit ist aber eine häufige Nebenwirkung. In dem Dorf Sagarejo stolperte ich einmal in ein Cafe, während des Rückwegs nach Tbilisi. Ich wollte etwas essen. Ich setzte mich allein an einem leeren Tisch. Dabei zog ich die Aufmerksamkeit von fünf Männern auf mich. Einer von ihnen näherte sich mir mit einem Glas Wein und sagte auf Russisch "Wir toasten auf Georgien. Werden Sie sich uns anschließen?" Es war schwierig, nein zu sagen. Am Nachbartisch stieß ich daraufhin auf die Gesundheit der Gastgebernation an. Diese supra wurde gehalten, weil einer der Männer ein georgischer Soldat war, der nun der Pflicht nachkommen mußte, für acht Monate in den Irak zurückzukehren. Der Soldat, Malkhaz, hatte zudem überschwänglich reagiert, als er erfuhr, dass ich aus den Vereinigten Staaten kam. "Amerika gut! Sie mein Freund!" hat er in gebrochenem Englisch ausgerufen, bevor er über den Tisch hinweg meine Hand schüttelte. Der tamada dieser Runde, ein untersetzten 42 Jahre alter ehemaliger Armeeoffizier namens David Hositashvili, hat die Lage weiter fest im Griff, als die Begeisterung Malkhaz drohte auszuarten. Nach mehreren Toasts - einer galt auch meiner Person, also für den geehrten ausländischen Gast - fühlte ich mich langsam etwas duselig. Und das deswegen, weil die Männer darauf bestanden hatten, dass ich mein Glas jedes Mal bis auf den letzten Tropfen leeren mußte. Zugegeben bemühte ich mich bald um eine Strategie, der supra zu entkommen, damit ich am nächsten Tag noch mein Flugzeug bekommen konnte. Ich entschuldigte mich maßlos, ich erklärte, dass ich es eilig hätte, nach Hause zu kommen. Ich bot einen letzten Toast an, bevor ich meine Gastgeber verließ. Die Männer bestanden auf die Bezahlung meiner Rechnung. Wieder in Tbilisi verstand ich, dass es in Georgien kein Problem ist, zu einer supra eingeladen zu werden! Dem Gelage war ich entkommen, doch die Herzlickeit der Georgier werde ich nie vergessen.

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