Monday, March 31, 2008

ENERGIE: DER PREIS DES ÖLS. Von Holger Gertz und Rena Effendi

Heft No. 67 - Titelthema Die Öl-Connection - Apri/Mai 2008


DER PREIS DES ÖLS

Von Holger Gertz und der wunderbaren Fotografin Rena Effendi

Die Pipeline vom Kaspischen Meer zum Mittelmeer sichert dem Westen den Zugriff auf transkaukasisches Öl. Den Preis für unsere Interessen zahlen die Menschen entlang der Röhre.


Eine neue Pipeline vom Kaspischen Meer zum Mittelmeer führt durch eine „geostrategische Interessenzone" der USA. Amerika will den ungehinderten Zugang zum Öl in Transkaukasien. Für die Menschen in Aserbaidschan, Georgien und der Türkei ist die Röhre vor allem Eines: Ein unheimliches Ding, das manchen viel Geld und vielen nur Unglück gebracht hat. Die Bevölkerung auf dem Land ist das Bauernopfer im Schachspiel der Großmächte. Sie bezahlt den Preis für unser Öl.

Text: Holger Gertz Fotos: Rena Effendi

Textauszug
Die Geschichte dieser Pipeline ist die Geschichte jedes Menschen, der in ihrer Nähe lebt, des Fischers Selçuk in der Türkei, des Rentners Islamidse in Georgien oder der Schülerin Konul in Aserbaidschan, 17 Jahre alt, schlank und schmal, mit einer Haut, die zur Röte neigt, bei großer Hitze, Scham oder Stolz. „Konul ist die Schönste", sagen die Jungs aus Sangachal, aber obwohl sie es schon so oft gehört hat, wird Konul Mamedowa noch immer rot und blickt zu Boden, damit der Pony nach vorn fallen und sich vor ihr Gesicht hängen kann wie eine zerschlissene Gardine. Wenn sie morgens durch die staubige Straße vom Haus ihrer Eltern zum Kindergarten hinüberläuft, wo sie arbeitet, warten die Jungs schon an der Ecke, aber sie warten vergeblich, denn Konul will irgendwann dahin, wo diese Jungs nie sein werden. Sie will hinaus aus Sangachal. Sie hat nur den Weg noch nicht gefunden.

Der Kindergarten, in dem sie arbeitet, ist ganz neu, es riecht darin nach Holz und frischer Farbe, und dass es ihn gibt, hat mit der Pipeline zu tun. Der Ölkonzern BP hat viel Geld gegeben für den Umbau. Sie haben jetzt in den Fluren neue Haken für die Anoraks, ein Heizbrenner glüht, und alle Kindergärtnerinnen, auch Konul Mamedowa, tragen Kittel, so grün wie das Grün auf den Emblemen von BP. „Der Kindergarten ist schön geworden", sagt Konul. Aber es ist eben nur der Kindergarten, der schön ist. Konul Mamedowa sucht ihre festen Schuhe und einen warmen Mantel. Der vom Regen matschig gewordene Sandboden seufzt bei jedem Schritt, als sie die Straße entlanggeht, hinein in diese kleine graue Stadt.

Links der Laden mit Glühbirnen, dahinter das Krankenhaus von Sangachal. Es hat drei Räume, darin Zinkwannen mit abgeplatztem Lack, Erlenmeyerkolben mit trüben Substanzen, Liegen mit rostigen Scharnieren. Einen Arzt gibt es nicht. Der Arzt kommt nur dienstags, mittwochs und freitags, allerdings nur dann, wenn Dienstag, Mittwoch oder Freitag auf einen geraden Tag im Kalender fallen. Konul geht weiter, zu ihrer alten Schule, in die Turnhalle. Das Volleyballnetz hängt schlaff über einem Feld, aus dem Holzspäne herausschauen. Kein Volleyballer, der ein Spiel unverletzt überstehen kann. Konul Mamedowa ist ein sanftes Mädchen, nicht fähig zu schreien, nicht einmal zu rufen. Sie kann aber sehr entschlossen auch dann klingen, wenn sie flüstert. Sie hatte Hoffnungen, dass sich Sangachal ändern würde, aber Sangachal ist Sangachal geblieben, bis auf den Kindergarten. Sie findet, dass ein sauber gestrichener und halbwegs beheizter Kindergarten nicht Grund genug sein kann, ewig zu bleiben.

Sie hat eine Idee. Im Fernsehen läuft regelmäßig „Yeni Ulduz", die aserbaidschanische Version der Casting-Shows aus dem Westen. Aserbaidschan sucht den Superstar. Da will sie auftreten. Die anderen aus Sangachal sagen: Konul singt wie Shakira. Sie will aber jetzt nichts vorsingen. Es riecht beißend, nebenan ist die Schultoilette, nur ein Loch im Boden mit einer Holzplatte als Sichtschutz davor. Konul Mamedowa wird jetzt ein bisschen rot.

Sangachal ist zwei Kilometer entfernt von den Ölfeldern in Baku, Aserbaidschans Hauptstadt, wo die Fördertürme stehen und man die Pipeline sehen kann, eine Röhre vom Durchmesser 1070 Millimeter. Wandstärke: bis 25,8 Millimeter. Lebensdauer: geschätzt 40 Jahre. Die Röhre senkt sich in den Boden, danach sieht man sie nicht mehr, bis sie sich 1700 Kilometer entfernt, im türkischen Hafen Ceyhan, wieder aus dem Boden schraubt. Die Geschichte der Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (BTC), eingeweiht im Mai 2005, teilt sich mit in Zahlen. Drei durchquerte Länder: Aserbaidschan, Georgien, Türkei. Zwölf Jahre Planung und Bau. Eine Million Barrel je Tag werden vom Kaspischen Meer an die türkische Küste gepumpt, wo die Pipeline endet und Tankschiffe warten. Sie transportieren das Öl weiter. Öl aus dem Osten für Amerika und den Westen.

Die Geschichte dieser Pipeline scheint irgendwo da draußen zu spielen, in einer weltabgewandten Gegend, wo die Bauern ihre Rüben noch mit Eselskarren abtransportieren. Aber sie hat mit den Menschen auch in Europa zu tun, die dieses Öl brauchen, damit alles brummen kann im Maschinenraum ihrer Konsumgesellschaft. Es ist sicheres Öl, das durch die Pipeline rauscht. Weder Mullahs noch Putin können den Hahn abdrehen. Die das Öl vom Kaspischen Meer wollen, müssen nur bereit sein, mit Ilham Alijew Geschäfte zu machen, dem aserbaidschanischen Präsidenten und autokratischen Sohn seines despotischen Amtsvorgängers Hejdar Alijew, nach dem sie in Aserbaidschan immer noch Schulen, Firmen, Parks nennen und dessen Bild auf meterhohen Bannern an den Häuserwänden hängt.

Transparency International (TI), die Nichtregierungsorganisation, die den internationalen Korruptionsdschungel zu lichten versucht, hat ermittelt, dass gerade in Erdölländern die Einnahmen oft in den Taschen von Mittelsmännern und lokalen Offiziellen verschwinden. 179 Länder listet TI auf, im Jahr 2007 liegt Aserbaidschan auf Platz 150. Aber wer das Öl will, darf gegenüber seinen Geschäftspartnern nicht zu kritisch sein. Die Pipeline ist ein Symbol. Sie verbindet das Kaspische Meer mit dem Mittelmeer. Sie trickst Russen und Iraner aus. Sie ist ein Zug im Schachspiel der Großmächte. „The Grand Chessboard" heißt das Buch eines Mannes, der die Vorarbeit geleistet hat für diese Pipeline: Zbigniew Brzezinski, amerikanischer Politikwissenschaftler mit polnischen Wurzeln, einer der Strategen der amerikanischen Außenpolitik.

Er war schon in den Siebzigern Sicherheitsberater des Präsidenten Carter und vertiefte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Kontakt in den Kaukasus. Brzezinski war der Verbindungsmann zum Regime in Baku, das für seine Zusammenarbeit mit den Amerikanern entsprechend entlohnt wird. Millionen US-Dollar bekommt das Land aus Washington jährlich, die aserbaidschanische Armee wird beraten von amerikanischen Militärexperten. Aserbaidschanische Soldaten sind in Afghanistan und im Irak. Amerikanische Flugzeuge werden bei Flügen nach Afghanistan in Baku betankt. Eine Verbindung ist gewachsen, und jeder soll sie sehen. Bill Clinton setzte den ersten Spatenstich für den Bau der Pipeline. Als sie eingeweiht wurde, war der amerikanische Energieminister Samuel Bodman zu Gast und überbrachte eine Grußbotschaft von Präsident George W. Bush.

Holger Gertz, Jahrgang 1968, Seite-drei-Redakteur der „Süddeutschen Zeitung", bekam von einem Interviewpartner in Georgien eine Tüte mit sechs riesigen Birnen geschenkt. Drei davon aß er gleich. Es waren die besten Birnen seines Lebens.

Rena Effendi, geboren 1977 in Baku, lebt in Aserbaidschan. Sie ist Mitglied von Agency.Photographer.ru, beschäftigt sich vor allem mit sozialen Themen und arbeitet an einem Buch über die BTC-Pipeline, das bei Mets & Schilt in Amsterdam erscheinen wird. mare dankt Jens Hobohm, Energieexperte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, für die Beratung bei der Herstellung der Pipelinekarte.


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