Saturday, March 14, 2009

MAGAZIN: Aus Politik und Zeitgeschichte, veröffentlicht am 23. März 2009 mit dem Thema "Kaukasus" (bpb.de)

Gestern wurde auf der Buchmesse in Leipzig die Wochenzeitung Aus Politik und Zeitgeschichte vorgestellt, die am 23. März 2009 mit dem Thema "Kaukasus" erscheinen wird.
Einer der Autoren war hier auch auf dem Podium: Walter Kaufmann hat kurz und bündig, nach dem das Thema, wie immer hier in unseren Breitengraden, erst einmal grundlegend eingeführt werden muss, die Lage erklärt. Er konstatierte einleitend, dass einfache Gut- und Böse-Schemate eben nicht funktionieren. Auch hinsichtlich des Georgienkrieges ist die Sachlage komplexer und sollte ausdifferenziert betrachtet werden.
Natürlich sind weder die Georgier unhinterfragbar die Guten, aber auch die Sezessionisten - die Abchasier und Südosseten beispielsweise - sind per se die Bösen in diesem Konflikt. Jeder beansprucht in seinem Interesse seine Rechte. Ebenfall gilt das für die Armenier und die Aserbaidschaner hinsichtlich des Karabakh-Konfliktes. Auf der Suche nach Schutz - denn diese Region rüstet enorm auf - bieten sich dann auch noch die Global Player an. Und wenn es sein muss, wird dann durch diese wissentlich oder unwissentlich auch noch "Erdöl" ins Feuer gegossen.
Letztendlich wurde zusammengefasst, dass es hier nicht nur ums Erdöl, also um die Energiepolitik geht. Auch der Westen geht hinsichtlich seiner Interessen Kompromisse ein, die fatal sein können, indem er beispielsweise das Referendum für eine präsidentiale Herrschaft auf Lebenszeit kaum Aufmerksamkeit zukommen lässt. Die südkaukasischen Länder sind sogenannte Demokratien. Aber nirgendwo herrscht Gewaltenteilung geschweige denn Pressefreiheit und Meinungsfreiheit. Worauf das hinausläuft kann wohl niemand genau sagen. Ruhig und stabil schaut es nicht aus. Selbst eine Theorie des Gefangenen-Dilemmas hilft da nicht wirklich weiter, dabei ist wohl der Einsatz zu unberechenbar und unterschiedlich, und Effekte nicht wirklich kontrollierbar. Wie man gesehen hat, war Saakshvilis Einsatz auf den ersten Eindruck nicht rational fassbar. Betrieb er ein riskantes Spiel oder herrschten im Hintergrund gar andere Regeln? Nicht umsonst geistern im Kaukasus auch die Verschwörungstheoretiker durch die Gegend - altmodische Eiferer und moderne Medienprofis.

Aber beschreiben kann man mit dieser Theorie des Rational Choice die Situation irgendwie schon. Nicht von ungefähr heißt ein Film von Sergej Bordrov wohl auch in diesem Sinne "Gefangen im Kaukasus" - nach einer Novelle von Tolstoi erzählt der Film eine Episode aus dem Tschetschenischen Bürgerkrieg. Oder kommt Puschkin in seinem berüchtigtem Poem «Der Gefangene im Kaukasus» (1821) dem Problem näher, in dem er General Jermolow preist, der den Kaukasus erzittern lässt (siehe hier >>> ) ?
Silvia Stöber von tagesschau.de (
Georgien im Wahlkampf / Konflikt im Südkaukasus / Wackelt Saakashvilis Suhl? ) pflichtete Kaufmann bei, indem auch sie die Schwierigkeiten andeutete, die Problematik adäquat medial darzustellen. Schon Zeit- und Platzprobleme tun da ihr übriges.
Weglassen hat auch Effekte. Minimalismus nennt man das in der Kunst, wobei die Öffentlichkeit eigensinnig reagiert, was die Angebote betrifft.
Und Tamuna Gurchiani beschrieb anfangs die emotionale Befindlichkeit mit Ausbruch des Krieges und danach. Sie lebt seit 2006 wieder in Georgien, organisierte in Südossetien vor Ausbruch des Krieges zusammen mit Martina Tichov das Film Festival "Nationality: human" - (South Caucasian Documentary Film Festival). Natürlich lebte sie immer mit diesen "frozen conflicts", aber letztendlich kam der Krieg im letzten Sommer auch für sie unerwartet. Sie schilderte knapp, die Müdigkeit und Ohnmacht der Georgier. Auf die Frage, wie es um die Integrität des georgischen Territoriums bestellt sei, antwortete sie, dass die Georgier, so hörte man es im Land, wohl an die 50 Jahre ohne diese Gebiete auskommen müssen, aber grundsätzlich werden sie das nie in aller Konsequenz dulden. Sie werden das nicht vergessen. Zur politischen Lage hinsichtlich der kommenden Wahlen führte sie auch die emotionale Lage vieler Georgier ins Feld, das man wohl gegenwärtig zu müde für Experimente sei. Alasania genieße als ehemaliger UN-Botschafter Georgiens ein gewisses Ansehen im Land und auch im Westen. Nur stellte man sich die Frage, wie es um seine Mannschaft bestellt sei. Gurchani führte auch an, dass aufgrund der angefangenen Projekte in den letzten Jahren auch Saakashvili eine gewisse Chance habe, wiedergewählt zu werden, da niemand in Georgien will, dass das Land um Jahre zurückgeworfen wird. Unter diesem Blickwinkel wird es wohl wieder interessant werden, welche Versprechungen die Akteure von außerhalb der Konfliktzone hier einbringen.
In der Summe war es eine gelungene Einführung in die Problematik für die Messebesucher in Halle 3. In einer halben Stunde kann natürlich kaum eine ausgiebige Analyse erfolgen. Wer will kann ab 23. März in der Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte von unterschiedlichen Autoren mehr erfahren. Der Blickwinkel ist dabei ein wissenschaftlicher und publizistischer Einstieg. Weltpolitik, die Zivilgesellschaft, Konfliktdarstellung, Minderheiten- und Machtpolitik, die Geschichte Kaukasiens und der Auslandsjournalismus werden vordergründig beleuchtet. Mentalitäten, lokale Identitäten, künstlerische Reflexe, ethnographische Beschreibungen kommen zu kurz, um die Eigenarten und Konflikte der kulturellen Selbstvergewisserung darzulegen. Der Südkaukasus ist eben auch ein fremdes Land - mit einem eigenen Koordinatensystem zur Orientierung und anderen Verkehrsregeln, um diese etwas nüchteren Metaphern zu bemühen, die die Menschen in dieser Region wohl kaum etwas angehen.

Jedoch ist das Heft mit solchen profunden Kennern und Autoren ihres Faches, wie Uwe Halbach, Walter Kaufmann, Manfred Quiring, Maximilian Opitz, Eva-Maria Auch und Gemma Pörzgen sehr zu empfehlen.
Ein ethnopsychologischer Blick fehlt mir irgendwie - doch das wäre dann wohl zu literarisch oder verschwobelt geworden und tut einer kompetenten Darstellung Abruch, wie man es landläufig unterstützt. Aber man könnte präziser Minderwertigkeitskomplexe und Defizite beschreiben, man kann aber auch einen Spiegel hervorholen und sich über seine eigenen Unfähigkeiten, Grenzen und Kompensationen im klaren werden, indem man die Herausforderungen der kaukasischen Mentalität annimmt und zusieht wie weit man damit kommt. Das gilt nicht nur für den Kaukasus, auch für den Balkan und die russische Weite, um das mal auf den eurasischen Kontinent zu beschränken - was bei weitem nicht ausreicht. (Ralph Hälbig)

ab dem 23. März auch online hier >>>

Tamuna Gurchani und Johannes Piepenbrink

Johannes Piepenbrink, Silvia Stöber und Walter Kaufmann

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