Thursday, April 15, 2010

BLOG: Wassermangel in Georgien. Von Stéphane Voell (stephanevoell.wordpress.com)

Ich kann mich gut daran erinnern ... 2006 war ich meinem Künstlerfreund Jörg Herold u.a. in Georgien unterwegs. Die ersten Tage verbrachten wir damals in Tbilisi und Umgebung. Wir hatten sozusagen eine Einraumwohnung in Old Tbilisi bezogen. Der Standard war einfach, der Preis "nicht schlecht", aber vor allem die Ausssicht über die Dächern der Stadt war beeindruckend.

Das Haus selbst bestand dann zum Garten hin aus zwei Etagen. Es war am Hang errichtet. Der Zugang zu der Räumlichkeit war über einen typisch georgischen Balkon möglich. Hier gab es noch einen Wasserhahn außerhalb der Wohnung. Jedesmal wenn wir heimkamen, selbst tief in der Nacht, tröpfelte der Wasserhahn, oder besser, ein stockender Rinnsal plätscherte in eine Emailiewanne. Öfter drehten wir dort den Hahn ab, anfangs deswegen weil uns dann Geplätschere nachts auf Klo trieb ... später bemwerkten wir dazu, dass das doch schlicht eine Wasserverschwendung wäre ... Wir kritisierten das beiläufig ...

Doch, ich glaube es war am dritten Tag, beobachtete ich durch die Gardinen, wie ein altes Mütterchen ... den Hahn wieder aufdrehte, den wir kurz zuvor abgestellt hatten.

Wir fragten uns, was das bedeutete ... ich antwortete schlicht (für mich war es in dem Moment eine lustige Phantasie, oder eine Eingebung): "Das fließende Wasser vertreibt hier böse Geister ... ;-), Jörg, du kannst dem Mütterchen nicht einfach das Wasser abdrehen. Das hat hier schwerwiegende Konsequenzen."

Tags darauf, fragten wir unseren Vermieter, was das solle, indem wir diese kleine Geschichte erzählten? Er übersetzte es einem anderen jungen Mann. Wie sich herausstellte, war es der Sohn des Mütterchen. Und der bestätigte das geradeheraus und seine Mimik spiegelte eine Selbstverständlichkeit wider... Wir wollten es nicht richtig glauben, das der Aberglaube den Alltag so stark beanspruchen kann ...

Umso mehr kann ich jetzt auf diese kleine Beobachtung verweisen: Stéphane Voell schrieb eine schöne kleine Geschichte zum Georgischen Wassermangel.

"Jetzt weiß ich, warum die Georgier Wassermangel haben. Eigentlich haben sie
keinen Wassermangel, denn aus jeder Felsritze scheint Wasser zu kommen. Häufig
schmeckt das Wasser schweflig und noch viel häufiger wird dieser oder jener
Quelle eine heilende Wirkung zugesprochen. In den Städten und Dörfern kann es
aber häufig passieren, dass mehrere Stunden am Tag kein Wasser aus dem
Wasserhahn kommt. In Tetritskaro kommt samstags den ganzen Tag kein Wasser. In
Tbilisi, kommt in dem Stadtviertel Saburtalo meist nachmittags nur ein dünnes
Rinnsal aus dem Hahn.

Ein georgischer Kollege berichtete mir folgendes: Wenn ein Georgier einen schlechten Traum gehabt hat, dann geht er, bevor er mit einem anderen Menschen spricht, zu einem Wasserlauf, wie z.B. zu einem Bach, und erzählt dem Bach den schlechten Traum. Vielleicht nimmt der Bach den schlechten Traum und die Sorgen mit. Oder aber der Wasserlauf ist so laut, dass der schlecht träumende Georgier dem Bach seinen schlechten Traum anvertrauen kann, ohne das eine andere Person mithört.

In der Stadt ist dies, so mein Kollege, anders. Hier gibt es keinen Bach. In Tbilisi gibt es den Fluss Mtkvari, doch der ist ziemlich schmutzig. Dem vertraut wahrscheinlich keiner seine schlechten Träume an. So schlimm können die Träume nicht sein. In der Stadt
laufen Georgier mit ihrem schlechten Traum zum Wasserhahn, lassen diesen laufen,
und erzählen dem Wasserstrahl ihren schlechten Traum. Doch offensichtlich sind
die Zeiten nicht gut in Georgien und es haben möglicherweise viele Georgier schlechte Träume. Gegen Mittag, wenn alle schlechten Träume in Wasch- und Spülbecken hinein erzählt worden sind, und halb Georgien aufatmet und beruhigt und erleichtert das Tagewerk beginnen kann, gibt es kein Wasser mehr. Erst abends sprudelt es wieder aus dem Wasserhahn. Die schlechten Träume Georgiens werden derweil durch die Kanalisation in den Mtkavri geleitet, diesen dreckig-braunen Albtraumfluss.

Viele Fischer stehen auf Brücken oder am Ufer und fangen aus dieser Brühe frische Fische. Die kann man dann kaufen, essen, und das machen wohl viele. Sie essen ihre schlechten Träume wieder auf und sprechen am Morgen wieder mit dem Wasserhahn.
Quelle:
stephanevoell.wordpress.com

2 comments:

stéphane said...

Auch eine spannende Geschichte. Ich sollte an dem Thema weiter dranbleiben. Grüße

Ralph Hälbig said...

Stephane, mach das ... überhaupt kannst du mich ständig informieren ...
Danke, Ralph