Friday, February 15, 2013

ARTIKEL Die Gefangenen im Kaukasus. Von Claus Löser (fr-online.de)

(fr-online.de) Die beiden georgischen Spielfilmdebüts „A Fold in My Blanket“ (Panorama) und „In Bloom“ (Forum) behandeln postsowjetische Traumata und vollbringen dabei ein kleines Wunder.

Der Endzwanziger Dimitri ist eigentlich guten Willens, nach seiner Rückkehr aus dem westlichen Ausland in der georgischen Heimat Fuß zu fassen und alles richtig zu machen. Was er vorfindet, entmutigt ihn jedoch zusehends: Die Verwaltung erweist sich bis in die feinsten, privaten Verästelungen hinein als korrupt, Altvordere huldigen einem dumpfen Patriotismus, die eigene Familie und ihr soziales Umfeld bewegen sich in einer merkwürdigen Mischung aus Karrierismus und Erstarrung. 

Wie gut, dass Dimitri zumindest teilweise dieser Enge zu entfliehen vermag: So oft er kann, fährt er in die Berge, erklimmt dort die gefährlichsten Felswände. Als er seinen Jugendfreund Andrej wiedertrifft, glaubt er, endlich einen Verbündeten in der seelischen Einöde gefunden zu haben. Doch Andrej scheint bereits resigniert zu haben. Dem Alkohol und dem Zynismus verfallen, wird er in ein Tötungsdelikt verwickelt und schlägt Dimitris Hilfsangebote aus. 

Zaza Rusadze beschreibt in seinem Spielfilmdebüt „Chemi sabnis naketsi“ einen entmutigenden Mikrokosmos, in dem das Alte übermächtig und das Neue zu schwach ist. Geschult an der Ironie von Eldar Schengelaia und an der visuellen Magie von Otar Iosseliani (für den Rusadze als Assistent arbeitete), skizziert er Georgien als kaum optimistisch stimmende Gemengelage, bei der die Balance zwischen konkreter Politsatire und abstraktem Traumraum bisweilen aus dem Ruder zu laufen droht. 

In einer wiederkehrenden Metapher schlüpft der Held des Films in eine Höhle, tastet sich durch die Dunkelheit und stößt überraschend auf eine Pforte, die ihn mit gleißendem Licht empfängt. Zuletzt muss Dimitri begreifen, dass es für diesen Hoffnungsschimmer keine Grundlage gibt. Er wird wohl ewig weiter im Dunkel umherirren. 



Ungewisse Zukunft

Das Regie-Duo Nana Ekvtimishvili und Simon Groß verorten ihren Erstling „Grzeli nateli dgeebo“ im Tiflis des Jahres 1992. Die Zukunft des Landes ist völlig ungewiss, unter der Bevölkerung herrscht unterschwellige bis offene Aggression. Für die beiden 14-jährigen Schülerinnen Eka und Natia fällt der gesellschaftliche Umbruch mit dem körperlichen und emotionalen Aufbruch der Pubertät zusammen. Die althergebrachten Autoritäten erodieren, ohne dass an ihre Stelle neue Wertmaßstäbe treten würden. 

Sehr schön wird dies in einer kleinen Szene in der Schule deutlich, als nach einem vergleichsweise harmlosen Streit die Schüler einfach geschlossen die Klasse verlassen. Fassungslos ahnt die Lehrerein, dass ihre Instrumente plötzlich wirkungslos geworden sind. Eka und Natia führen einen täglichen Verteidigungskrieg gegen die besitzergreifenden Ansprüche ihrer zerrütteten Familien und des orientierungslosen Gemeinwesens.
Bald begreifen die Mädchen, dass sie enger mit den vorgefundenen Strukturen verwoben sind, als sie es sich zunächst eingestehen. Ausgerechnet die rebellische Natia wehrt sich nicht gegen eine Zwangsheirat, während die zurückhaltende Eka weiter an den vorgegebenen Mustern rüttelt. Sie durchbricht das Schweigen, macht sich auf die Suche nach dem totgeschwiegenen Vater. 

Die schönste Tanzszene von allen

Ekvtimishvili und Groß ist mit ihrem Film ein kleines Wunder gelungen. Ohne auch nur annähernd in Historismus zu verfallen, erzählen sie eine universelle Geschichte, die doch in einem genauen geschichtlichen Kontext eingebettet wird. Die beiden Hauptdarstellerinnen Mariam Bokeria und Lika Babluani spielen ebenso souverän wie bezaubernd. Letztere dürfte der Berlinale eine der schönsten Tanzszenen überhaupt beigesteuert haben: Als Natia sich in die Heirat fügt, schenkt Eka ihr einen Abschiedstanz, der sich von leisen Gesten bis hin zu leidenschaftlicher Entladung steigert.
Dieser Tanz steht als Gleichnis für die Kraft der scheinbar Schwachen gegenüber den eingefahrenen Rollenmustern. Wenn es eine Energie geben kann, legt der Film nahe, die in der Lage ist, den ewigen Kreislauf von Stolz, Kränkung und Rache zu durchbrechen, dann liegt diese in den Frauen.

Grzeli nateli dgeebi (In Bloom) 12. 2.: 15 Uhr, Cubix 7; 13. 2.: 21.30 Uhr, Delphi; 15. 2.: 20 Uhr, Cubix 9.
Chemi sabnis naketsi (A Fold in My Blanket) 12. 2.: 17.45 Uhr, CineStar 3; 17. 2.: 22.30 Uhr, Colosseum 1.

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