Monday, August 26, 2013

REZENSION: Songs of D. and O. Christiane Rösingers Reisebericht aus Baku leidet an Dünkel und Oberflächlichkeit. Von Thomas Melzer

In ihrem Reisebericht “Berlin – Baku” (S. Fischer-Verlag 2013) bekennt sich die Berliner Liedermacherin Christiane Rösinger zur „Durchfahrtsessayistik“: Gerade der flüchtige Blick des Vorbeifahrenden erfasse die wesentlichen Eigenschaften einer Stadt oder Landschaft. Der „Aufenthaltsessayist“ dagegen, hält sie dem Leiter des Goethe-Institutes in Georgien, Stefan Wackwitz, vor, habe „den abgestumpften Alltagsblick, wundert sich über nichts mehr und kann das Besondere eines Ortes bald nicht mehr erkennen.“

Der Essayistenstreit lässt sich mit der Veröffentlichung von „Berlin – Baku“ als erledigt betrachten. Rösinger hat sich – im Frühjahr 2012, anlässlich des Eurovision Song Contest - in einem VW-Bus auf den Weg nach Aserbaidschan gemacht und reflektiert ihre Wahrnehmungen nun via Rückspiegel. Mehr als Oberfläche wird so naturgemäß nicht sichtbar. Wo das Durchfahrtstempo Lücken in der Wahrnehmung ließ, füllt Rösinger diese im Nachhinein per Google oder Gossip. „Jeden Tag werden sämtliche Zufahrtsstraßen ins (Bakuer) Zentrum ein paar Stunden lang gesperrt, immer wenn sich Staatskarossen oder wichtige Delegationen durch die Stadt bewegen,... Ein normaler Weg von der Innenstadt in einen Nachbarbezirk kann da schon vier oder fünf Stunden dauern.“ 

Unbestritten hat Baku ein Verkehrsproblem, die absurde Übertreibung und Verallgemeinerung schon im Banalen aber steht beispielhaft für Rösingers Attitüde im Ganzen: Man hat sie vor Aserbaidschan gewarnt, schreibt sie, und sie selbst bleibt Zeit ihres Besuches fest entschlossen, sich dort nicht zu wundern, sondern das Land quasi mit dem Hintern anzusehen. „Hier müssen wir also ganze vier Tage lang bleiben. ... Was soll man mit diesem Baku anfangen?“

Das künstlerische Schaffen Rösingers, deren Album „Songs of L. and Hate“ (2010) ihr verbreitet den Ruf eintrug, eine der besten deutschen Liedermacherinnen zu sein, lebt von der misanthropischen Perspektive auf „die allgemeine Sinnlosigkeit der Existenz“, ihr Reisebericht darbt daran. Darüber ließe sich hinwegsehen, stände Rösinger mit ihrer unerschütterlich selbstgewissen und -gerechten Art der Weltanschauung allein und nichts weniger als der europäischen Integration im Wege. Es ist genau jene westliche Dünkelhaftigkeit, die sich als Grundton durch die Aserbaidschan-Kapitel des Buches zieht, welche die von Rösinger beschriebene vielfältige Überkompensation der Aserbaidschaner erst schürt: Nehmt uns wahr und nehmt uns ernst – und sei es mit dem höchsten Haus der Welt! Schon Kurban Said warf in seinem Kaukasus-Schlüsselroman „Ali und Nino“ vor 100 Jahren die Zukunftsfrage auf, ob Baku künftig zum „rückständigen Asien oder zum modernen Europa“ gehören werde. Für Rösinger, die in ihrem Buch auswalzt, wie sie in einem aserbaidschanischen Straßenrestaurant vor Baku keine mitteleuropäische Bedienung antrifft und inmitten der „Servicewüste“ sogleich die „Dorfdeppen von Samaxi“ vermutet, scheint die Frage beantwortet: finsterstes Asien.

Das Buch strotzt vor tendenziösen Fehlinformationen, oft dargeboten in einem verräterisch süffisanten Sound: Die Flame Towers (das neue Wahrzeichen der Stadt) seien „abrutschende Neubauten“ und nicht bewohnbar. (Wahr ist: Soeben eröffnete hier das teure „Fairmont“-Hotel.) Die neuen Taxis seien eigens für den ESC aus London eingeflogen. (Sie wurden in China produziert und wurden auch nach dem ESC noch zu hunderten eingeführt.) Journalisten, die über den Nagorny-Karabach-Konflikt berichten, würden zusammengeschlagen. (Der Journalist Chingiz Mustafayev, der die Gräuel des Karabach-Krieges filmte, ist seitdem in Aserbaidschan Nationalheld.) Erstaunlicherweise unternimmt die Reiseautorin nicht einmal den Versuch, ihre Wahrnehmungen in den Zusammenhang mit dem großen nationalen Trauma zu bringen, den die Aserbaidschaner mit dem Verlust eines Fünftels ihres Territoriums und der Entwurzelung von einer Million Menschen infolge des Karabach-Krieges vor nur 20 Jahren erlitten.

Fürwahr, es gibt in Aserbaidschan viel zu kritisieren. Wer dies jedoch demagogisch tut, wer meint, aus vier Tagen Aufenthalt das Land kennen und bewerten zu können, ist in seiner leichten Widerlegbarkeit keine Stütze für die demokratischen Kräfte in Aserbaidschan. Natürlich ist z.B. zu beklagen, dass die politische Opposition im Zentrum von Baku nicht demonstrieren darf. Tatsache ist auch die Auflösung ungenehmigter Demonstrationen durch die Polizei (die übrigens von deutschen Polizisten im „Crowd Management“ trainiert wird). Warum aber benutzt Rösinger in diesem Zusammenhang das Wort „zusammengeknüppelt“ – wo stand sie, dass sie sah, was der Verfasser aus mehrfacher eigener Anschauung nicht bestätigen kann?

„Und wie sollen die Leute hier etwas davon mitkriegen, wenn es keine Presse ... gibt?“ Blödsinn! Regierungsferne Presse hat es tatsächlich nicht leicht in Aserbaidschan. Warum aber verschweigt Rösinger dem arg- und ahnungslosen deutschen Leser, dass „Musavat“, die Zeitung einer Oppositionspartei, die auflagenstärkste Zeitung Aserbaidschans ist?

Rösinger verhält sich nicht anders als etliche deutsche Journalisten, die zum ESC nach Baku kamen, aus dem Flugzeug stiegen und eigentlich über das Land schon alles wussten. Das, was sie dann zum Besten gaben, war oft tendenziöser, einseitiger, unredlicher Journalismus. Bei dem Autor, der seit 2011 in Baku lebt und eine halbe DDR-Biografie hat, löst das einen schmerzhaften Reflex aus, den er schon an sich kennt: eine Gesellschaft über alle kritischen Vorbehalte hinweg gegen Demagogen oder ahnungslose Besserwisser in Schutz zu nehmen.

Einen Trost bietet die Lektüre des Rösinger-Buches immerhin dann, wenn die Autorin unfreiwillig komisch wird. Wiederholt habe ihre von „Gendermarkierungen“ freie Erscheinung dafür gesorgt, schreibt Rösinger, dass sie und die sie begleitende „Frau Fierke“ im Südkaukasus für Männer gehalten wurden. Dann aber sitzen sie abends im Hotel am offenen Fenster, rauchen und trinken Dosenbier. Von unten winken ein paar Jungs. „Für was die uns wohl halten? ... Sexarbeiterinnen, die sich wie in Amsterdam in Schaufenster setzen?“ So fern für Bakuer Jungs das Amsterdamer Rotlichtviertel ist, so fremd ist Baku Christiane Rösinger. Ahnungslosigkeit und Hybris gehen bei ihr Hand in Hand und miteinander durch. Würde Rösinger ihre eigenen Songs ernst nehmen, hätte sie ihr Buch nicht oder nicht so geschrieben: Du hast Dir Deinen Reim / und Dein Bild gemacht / dann kommt die Wirklichkeit / und sagt „falsch gedacht“ („Desillusion“ aus „Songs of L. and Hate“).

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