Tuesday, September 10, 2013

KOMMENTAR: Salome Surabischwilis europäischer Anspruch. Von Frank Tremmel (einblickgeorgien.blogspot.de)

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(einblickgeorgien.blogspot.de) Am Vorabend eines neuen „Orientalischen Krieges“, mitten in den georgischen Badeferien, wird fast unbemerkt eine vermutlich folgenreiche Entscheidung getroffen. In dem einzigen postsowjetischen Land, in dem bislang eine Regierung durch demokratische Wahlen abgelöst wurde, lehnte die Zentrale Wahlkommission die Kandidatur der ehemaligen Außenministerin des Landes, Salome Surabischwili, für die anstehenden Präsidentschaftswahlen ab. Ihrem Widerspruch wurde in der ersten Instanz nicht nachgegeben. Unabhängig von den fadenscheinigen juristischen Begründung, die sich auf ihre doppelte Staatsbürgerschaft bezieht, handelt es sich dabei um einen Akt von enormer symbolischer Bedeutung. Wer ist Salome Surabischwili oder genauer, wofür steht sie?

Salome Surabischwili, eine „Frau für zwei Länder“, stammt aus einer Familie, deren Schicksal eng mit dem europäischen Weg Georgiens verwoben ist. Ihr Großvater, Niko Nikoladze, gehörte zu den wichtigen, an westlichen aufklärerischen Traditionen orientierten Intellektuellen und Politikern des kleinen Kaukasuslandes. Ihre Familie fand nach dem Ende der ersten unabhängigen Demokratischen Republik Georgien 1921 zusammen mit der Exilregierung Aufnahme in Frankreich. Levili (Leuville-sur-Orge), diese kleine Gemeinde, 25 Kilometer von Paris entfernt, wurde zur neuen Heimstatt der Exilierten und zum Symbol des nationalen Widerstandes.

Frankreich bewies seine europäische Solidarität mit dem Freiheitskampf des georgischen Volkes und ging damit kein geringes Risiko ein. Wenn Salome Surabischwili nun gerade ihre französische Staatsbürgerschaft zum Verhängnis werden sollte, haftet diesem Vorgang nicht nur das Hautgout der Undankbarkeit bzw. des mangelnden Geschichtsbewusstseins an. Es wäre auch eine Entscheidung gegen Europa. Damit wird nicht nur Salome Surabischwilis Ehrerbietung gegenüber der Erde, in der Ihre Vorfahren neben hunderten von georgischen Emigranten bestattet wurden, bestraft – es wird auch signalisiert, dass eine der wenigen georgischen Politikerinnen, die immer wieder deutlich europäisch votierte, in Georgien keinen Platz findet.

Die Klage über Europa ist nicht neu und wird in allen europäischen Nationen immer wieder erhoben. Diejenigen Georgier, die sich in ihren Hoffnungen enttäuscht sehen, reihen sich ein in die Vielzahl derjenigen, die aus den unterschiedlichsten Gründen meinen, Europa böte keine Heimat. In dieser Klage sind sie europäischer als sie annehmen. Europa ist weniger Ankunft als andauernder Aufbruch. Es bietet keine kompakte Identität, die uns andauernde Ruhe verspricht. Europa „ist und bleibt“, wie es der französische Philosoph und Soziologe Edgar Morin einmal formulierte, „...eine tumultartige und chaotische Baustelle, wo nichts nach einem schon vorgefertigten Plan oder Programm abläuft.“ Seine Grenzen sind fließend und müssen immer wieder neu definiert werden.

Salome Surabischwili hat dies immer wieder versucht und ihre georgischen Landsleute ermutigt, sich an diesem Prozess aktiv zu beteiligen. Sie verbindet den Enthusiasmus der wirklichen Europäerin mit dem nicht nur in Georgien nicht immer beliebten notwendigen Realismus und Differenzierungsvermögen. Wenn man ihr vorwirft, sie sei dort „ein Pinguin in der Wüste“, dann charakterisiert man damit unbeabsichtigt jeden Europäer. Als Europäer sind wir immer „Sancho Panza“ und „Don Quichotte“ zugleich. Salome Surabischwili hat aber zudem das Zeug zu einer Dulcinea. Sie strahlt sowohl als Französin als auch Georgierin eine mediterrane Würde und Klarheit aus, die man vielleicht nur als Nordeuropäer zu goutieren versteht.

Europa trägt an seinen Grenzen viele Narben und so manche Wunde hat sich nie geschlossen. Georgien, ein exemplarisches Grenzland, ist heute mehr denn je die Probe aufs Exempel unseres Europäertums. Grenzen leben von unserem Unterscheidungsvermögen und vom Bewusstheit des Ganzen. Politik ist immer die Kunst der klugen Grenzziehung, nicht im Sinne einer Freund-/Feind-Unterscheidung, wie sie Carl Schmitt und in seiner Folge so mancher Geopolitiker verstand, aber auch nicht im Sinne einer senilen Toleranz der Inklusion. Europa ist kein Imperium und keine Religionsgemeinschaft, aber auch kein Markt, auf dem jede Ware gehandelt werden darf. Unsere aus dem Orient übernommene Religion lehrt uns nicht die falsche Harmonie, sondern vor allem den Glauben an die Macht des Logos, d.h., des Wortes.

Salome Surabischwili hat dies nach der Ablehnung ihrer Kandidatur sehr schön zum Ausdruck gebracht. Ein großer Teil ihrer Verdienste liegt in diesem Bereich der klaren Unterscheidungen. Sie verkörpert zur Zeit als einzige Politikerin die georgische Bereitschaft zum Gespräch und zur Selbstbehauptung. Dialog und Distinktion, Logos und Leidenschaft verknüpft sie gerade über die Fähigkeit zur Differenzierung zu einem politischen Ethos, das für Georgien überlebensnotwendig ist. Das gilt nicht nur nach Außen, vor allem gegenüber Russland, sondern auch im Inneren. Gerade wenn sie die problematische Worthülse „Cohabitation“ kritisiert und stattdessen das in der georgischen Sprache vorhandene Wort თანაარსებობა (tanaarseboba, d.h. Mitexistenz) vorschlägt, verdeutlicht sie sprachlich die Idee der Staatlichkeit. Das gilt nicht weniger für ihren Hinweis auf die Unterscheidung von Recht und Gerechtigkeit, der in der georgischen Alltagssprache nicht geläufig ist – ein Mangel, der die Kontinuität und Funktionsfähigkeit der Institutionen dauernd gefährdet. Insofern wäre ihre Kandidatur allein schon in diesem Sinne ein wohltuendes Vademecum.

Gerade in der augenblicklichen Situation, in der der Architekt der im Oktober 2012 an die Macht gelangten Regierungskoalition, Bidsina Iwanischwili, sich offenbar politisch zurückziehen will, die innenpolitischen Verhältnisse zunehmend chaotischer werden und zugleich im Vorderen Orient der syrische Bürgerkrieg in einen neuen Orientalischen Krieg einmünden könnte, droht der einzigen klar akzentuierten europäischen Stimme, nicht gehört zu werden.

Es handelt sich zudem um eine Stimme, die durch ihre Arbeit in internationalen politischen Organisationen mit den Verhältnissen im Vorderen Orient sehr gut vertraut ist. In den Rankünen der georgischen Clanpolitik, in kleinlichen Ressentiments und opportunistischer Indifferenz verliert Georgien sein europäisches Gesicht.

Das Land ist nicht einmal imstande, sein Verhältnis zu den unmittelbaren Nachbarn zu bestimmen, auch ein Problemfeld, dem sich Salome Surabischwili immer wieder gewidmet hat. Die Indifferenz gegenüber den syrischen Ereignissen ist erschreckend. Während die letzten Jahre durch ein Politikmodell bestimmt waren, das Georgien mit Hilfe eines unrealistischen US-amerikanischen Unilateralismus und einer abstrakten Modernisierungsstrategie in eine westliche Trajektorie katapultieren sollte, wird heute – bislang nur durch sprachliche Ungenauigkeiten – Georgien in einen Orbit verschoben, in dem eine Vasallenexistenz vorausbestimmt ist.

In beiden Fällen unternimmt das Land keinerlei Anstrengungen, den Dialog auf selbstbestimmten Grundlagen zu führen, wie Salome Surabischwili es immer wieder fordert. Wer ohne Not – wie zuletzt in Vilnius – „eurasische“ Ambitionen in Erwägung zieht, stößt das Tor nach Europa zu. Ein differenzierter Dialog ist nur auf der Basis klarer Entscheidungen möglich. Salome Surabischwili hat diesen sehr konkreten Charakter jeder Politik deutlich zum Ausdruck gebracht. Die georgische intellektuelle Elite denkt allerdings nicht politisch. Sie gefällt sich in der vermeintlichen Machtferne, hegt diffuse Hoffnungen und unterwirft sich zugleich mit falschem Pathos den schlimmsten Partikularinteressen. Aus diesem Grund kann sie kein kohärentes politisches Projekt, keine Idee der Staatlichkeit formulieren.

Die „Mitexistenz“, von der Salome Surabischwili spricht, ist der sprachliche Schlüssel zur Schaffung einer solchen Idee. In diesem Wort sind auf differenzierte Weise zwei Komponenten der modernen politischen Existenzform, d.h. der Demokratie, verbunden, die auch im westlichen Liberalismus oftmals nicht genügend berücksichtigt werden, die Liebe und das Recht.

Nur wenn beide in ihren spezifischen Eigenschaften begriffen werden, können sie zusammengeführt werden. Die ehemalige Außenministerin Georgiens besitzt die nötigen Fähigkeiten, um im Amt des Präsidenten die Leidenschaften ihrer Landsleute im Sinne dieses Logos zu kultivieren.

Sie hat sich an verschiedenen Stellen, vor allen Dingen im Zusammenhang mit Regierungsverbrechen aus der Zeit der vor dem Oktober 2012, für konkrete Prozesse der Rechtsstaatlichkeit eingesetzt und dabei den Gedanken der Versöhnung nie beiseite geschoben.

Ob die Georgier diesen Schlüssel benutzten werden, um das Tor zu öffnen, wird allerdings nicht allein von ihr abhängen. Das Schweigen der intellektuellen und politische Elite Georgiens zu der bislang verweigerten Kandidatur ist kein gutes Zeichen.

Neben der immer zu veranschlagenden Indifferenz und dem verschlagenen Opportunismus sind es vor allem die allgemeinen Floskeln und bagatellisierenden Phrasen, die Salome Surabischwili in anderen Zusammenhängen mehr als einmal beklagt hat, die jedes konkrete Engagement für die Demokratie in Georgien unterminieren.

Es bleibt abzuwarten, ob in dieser Sache noch ein klärendes politisches Wort gesprochen wird oder ob man sich auf formaljuristische Prozeduren herausredet, wie immer diese auch ausgehen mögen. Auch hier ist das Schweigen vor der nächsten juristischen Instanz ein schwerer Schaden für die Würde der georgische Staatlichkeit. Das muss jedem klar sein.

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