Wednesday, October 23, 2013

BERICHT: Georgien vor der Präsidentschaftswahl: Welche Zukunft hat der Liberalismus? Von Silvia Stöber, Tiflis, 22. Oktober (freiheit.org)

(freiheit.org) Bericht aus aktuellem Anlass N° 37/2013

Die Südkaukasus-Republik Georgien wird seit einem Jahr von Politikern aus sieben Parteien geführt. Präsident und Regierung gehören rivalisierenden Parteien an. Schon für eine entwickelte westeuropäische Demokratie wäre eine solche Konstellation eine Herausforderung.

Für das erst seit 20 Jahren unabhängige Georgien war dieses Jahr ein Test für politische Toleranz und Demokratiefähigkeit. Mit der Präsidentschaftswahl Ende Oktober wird die Kohabitation aller Voraussicht nach ein Ende finden. Doch politische Stabilität bleibt eine Herausforderung, ebenso die Durchsetzung liberaler Politik.

War eine Präsidentschaftswahl in Georgien bislang ein politisches Großereignis, so ist die Stimmung vor der am 27. Oktober anstehenden Wahl weitaus gelassener als in früheren Jahren. Dies liegt nicht nur daran, dass der Präsident ab der neuen Amtszeit über weniger Handlungsspielraum gegenüber Regierung und Parlament verfügen wird. Ein weiterer Grund ist, dass der wesentliche Machtkampf bereits im vergangenen Jahr bei der Parlamentswahl ausgefochten wurde und jetzt mit einer Konsolidierung der politischen Verhältnisse zu rechnen ist.

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D. Bakradse, N. Burdschanadse, G. Margwelaschvili
Im Oktober 2012 gewann die parteipolitisch heterogene Koalition "Georgischer Traum" des Geschäftsmannes Bidsina Iwanischwili gegen die langjährige Regierungspartei Vereinte Nationale Bewegung (UNM) von Präsident Michail Saakaschwili. Dieser kann sich kein drittes Mal zur Wahl stellen und wird seinen Posten nach fast zehn Jahren räumen müssen. Dem Präsidentschaftskandidaten seiner Partei, David Bakradse, werden Umfragen zufolge Chancen auf den zweiten oder dritten Platz eingeräumt. Er zählt zum moderaten Flügel der UNM, die nach der "Rosenrevolution" 2003 einen strikten Westkurs, eine ultra-liberale Wirtschaftspolitik und eine Modernisierung der Infrastruktur und der Verwaltungsstrukturen verfolgte. In den vergangenen Jahren häuften sich die Vorwürfe gegen Saakaschwili, er handle zunehmend autoritär.

Als ausgemacht gilt, dass der Präsidentschaftskandidat von "Georgischer Traum" in der ersten oder zweiten Wahlrunde die erforderliche Stimmenanzahl erringen wird. Giorgi Margwelaschwili, parteilos und bislang Bildungsminister, ist zwar weder besonders profiliert noch sehr angesehen in der Bevölkerung. Er profitiert aber von der noch recht hohen Zustimmung der Bevölkerung zur "Traum"-Koalition unter Premierminister Iwanischwili. Margwelaschwili gibt sich liberal und nach Europa orientiert. Doch vermeidet er Kritik an der mächtigen Orthodoxen Kirche, die es an Toleranz gegenüber religiösen, ethnischen und vor allem sexuellen Minderheiten im Land fehlen lässt.

Als eines seiner Ziele im Präsidentenamt nennt Margwelaschwili eine stabile politische Lage. Ob jedoch die heterogen zusammengesetzte Regierungskoalition die noch drei Jahre währende Legislaturperiode über zusammenbleiben wird, ist offen. Bislang war Iwanischwili die integrierende Figur des Bündnisses, das aus sechs Parteien besteht. Iwanischwili hatte jedoch bereits frühzeitig angekündigt, die Politik noch in diesem Jahr verlassen zu wollen. Angesichts sichtbarer Amtsmüdigkeit wird er dieses Vorhaben sehr wahrscheinlich umsetzen.

Wie bei anderen wichtigen Personalentscheidungen behält Bidsina Iwanischwili es sich vor, selbst einen Nachfolger zu bestimmen. Bisher ließ er sich dabei stärker vom Maßstab persönlicher Loyalität ihm gegenüber und weniger von der politischen Profilierung und Kompetenz der Personen leiten.

Einen wichtigen Part in der Koalition spielen derzeit die liberalen Republikaner und die Freien Demokraten. Mit David Usupaschwili stellen die Republikaner den Parlamentspräsidenten, der durch sein besonnenes Auftreten erheblich dazu beitrug, dass sich das Parlament auch bei heftigen Kontroversen zwischen Regierungskoalition und Oppositionspartei UNM wieder zusammenfand. Zudem stellen die Republikaner zwei Minister, wobei mit Reintegrationsminister Paata Sakaareischwili ein sehr kompetenter Konfliktexperte für die beiden abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien zuständig ist.

Der liberale Demokrat und Verteidigungsminister Irakli Alasania erhielt in der September-Umfrage des National Democratic Institute (NDI) in der georgischen Bevölkerung den höchsten Anerkennungswert unter den Regierungsmitgliedern. Für seine Reformanstrengungen in der Armee und im Ministerium erhält er Lob von der NATO und der EU. Auch Justizministerin Tea Tsulukiani aus seiner Partei erfährt Anerkennung aus dem westlichen Ausland für ihre Bemühungen, das Gerichtssystem unabhängiger von der Politik zu gestalten. Beide spielten eine vermittelnde Rolle mit ihren Kontakten in Europa und in den USA, wo immer wieder Bedenken über Rückschritte in der demokratischen Entwicklung und politisch motivierte Justiz laut wurden, oft motiviert durch Klagen aus den Reihen der nun oppositionellen Nationalen Bewegung Saakaschwilis.

Republikaner und Freie Demokraten bilden mit ihrer liberalen Ausrichtung in der Regierungskoalition die Minderheit gegenüber den vier mehr oder weniger konservativen Parteien. Will die Koalition künftig auch ohne den derzeitigen Premier Iwanischwili einen demokratischen und nach Westen ausgerichteten Kurs vorgeben und dies in Europa und den USA mit Erfolg kommunizieren, so wird die Koalition auch weiter auf die beiden liberalen Parteien angewiesen sein.

Ohnehin stehen im Frühjahr noch die Lokalwahlen an, bei der die "Traum"-Koalition den politischen Rivalen UNM auch aus den Bürgermeisterposten und den Regionalparlamenten verdrängen will. Der gemeinsame Gegner Saakaschwili und dessen Partei UNM waren bislang das stärkste äußere Druckmittel, das die Koalition zusammenhielt. Auf Dauer werden sich die Liberalen vor allem im Parlament stärker absetzen müssen, wollen sie ihr Profil aufrecht erhalten gegenüber einigen Politikern im Bündnis, die mit fremdenfeindlichen und homophoben Äußerungen für Aufmerksamkeit sorgten.

Problematisch ist, dass die UNM während ihrer Regierungszeit den Liberalismus in der Bevölkerung insofern diskreditiert hat, als sie mit ihrer radikal neo-liberalen Wirtschaftspolitik die sozialen Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit im Land nicht gelöst hat und auch nicht genug Auslandsinvestitionen generieren konnte. Dem Ausland zeigte sie ein demokratisches Gesicht. Die Bevölkerung im eigenen Land nahm jedoch wahr, dass die Kontrolle über die Wirtschaft, die Medien und die Opposition in den Jahren unter Saakaschwili zunahm.

Kleinunternehmer und Journalisten sagen, dass sie seit dem Regierungswechsel vor einem Jahr mehr Freiheit genießen. Diese gewachsene Offenheit führt aber auch dazu, dass der weit verbreitete und von der Orthodoxen Kirche gepredigte Erz-Konservatismus und Traditionalismus umso stärker zum Ausdruck kommt. Dies geht bis hin zu feindlichen Äußerungen und Handlungen gegenüber ethnischen, religiösen und sexuellen Minderheiten.

Die derzeit in Umfragen drittstärkste Präsidentschaftskandidatin, Nino Burdschanadse, spielt mit dergleichen Andeutungen und dem Versprechen, Georgien Russland weiter anzunähern. Sie spricht auch jene an, die nicht mehr an die Versprechen glauben, Georgien werde eines Tages Mitglied der EU und der NATO, wenn auch noch so viele georgische Soldaten am internationalen Einsatz in Afghanistan teilnehmen und dort ihr Leben lassen.

Burdschanadse spekuliert offen mit vorgezogenen Parlamentswahlen und einem Regierungswechsel. Die "Traum"-Koalition wird ein solches Szenario nur verhindern können, wenn sie die sozialen Probleme des Landes in den Griff bekommt und damit Enttäuschung und Unmut der Bevölkerung vermeiden kann, die sehr mobilisierungsfähig für Proteste ist. Auch muss die Regierung einen Mittelweg für den Umgang mit der Orthodoxen Kirche finden, der es gelingen kann, in kürzester Zeit Tausende Menschen zu Protesten auf die Straße zu bringen. Andererseits gefährdet die Kirche den Zusammenhalt des Landes, in dem zahlreiche ethnische und religiöse Minderheiten leben. Auch gibt es nicht nur in der Hauptstadt Tiflis einen hohen Anteil an jungen Leuten, die sich nicht mehr den traditionellen Regeln der Kirche für ihr privates Leben unterwerfen wollen. An diesen Stellen können die liberalen Parteien Akzente setzen, ob innerhalb oder außerhalb der Regierungskoalition.

Ob den Republikanern und den Freien Demokraten eines Tages wieder Konkurrenz aus den Reihen Saakaschwilis erwachsen wird, ist fraglich. Derzeit kämpft die UNM mit ihrem schlechten Ansehen. Sie müsste ein neues Parteiprogramm entwickeln, das die Bevölkerung anspricht. Auch müsste sie sich distanzieren von jenen Mitstreitern, die sich der Korruption und des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht haben. Ob sie ohne ihre Führungsfigur Saakaschwili auskommen wird, ist zudem fraglich. Nach einem erheblichen Ansehensverlust kämpft der noch amtierende Präsident darum, wieder an politischer Statur zu gewinnen und sein politisches Erbe zu sichern. Sollte sich die Lage im Land erheblich verschlechtern, so könnte er auch in der Bevölkerung wieder an Zuspruch gewinnen, falls seine politische Karriere nicht doch vor Gericht ein Ende findet.

Silvia Stöber ist freie Journalistin in Georgien.

Impressum:

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